URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
3. Juni 1999 (1)
„Soziale Sicherheit Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr.
1408/71 Wahlrecht Wirkungen“
In der Rechtssache C-211/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG (früher Artikel 177) vom
Landessozialgericht Niedersachsen (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen
Rechtsstreit
Paula Gómez Rivero
gegen
Bundesanstalt für Arbeit
beigeladen:
Bundesrepublik Deutschland
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 16
Absatz 2 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971
zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und
Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu-
und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2.
Dezember 1996 (ABl. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer P. Jann in Wahrnehmung
der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter C. Gulmann,
D. A. O. Edward (Berichterstatter), L. Sevón und M. Wathelet,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
von Frau Gómez Rivero, vertreten durch A. Nicolás, Leiter der
Sozialabteilung des spanischen Generalkonsulats Hannover,
der finnischen Regierung, vertreten durch Botschafter H. Rotkirch, Leiter
des Juristischen Dienstes des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten,
als Bevollmächtigten,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Rechtsberater P. Hillenkamp als Bevollmächtigten,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juli
1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Landessozialgericht Niedersachsen hat mit Beschluß vom 22. Mai 1997, beim
Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 1997, gemäß Artikel 234 EG (früher Artikel
177) zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der
Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der
durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl.
L 28, S. 1) (im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Gómez Rivero
(Klägerin) und der Bundesanstalt für Arbeit (im folgenden: Bundesanstalt) wegen
eines Bescheides, mit dem der Klägerin mit Wirkung vom 1. Februar 1995 das
Kindergeld für ihre beiden unterhaltsberechtigten Kinder entzogen wurde.
Das Gemeinschaftsrecht
- 3.
- Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:
„Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die
Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit
sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge
im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und
Hinterbliebene.“
- 4.
- Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:
„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese
Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der
Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates,
soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.“
- 5.
- Unter dem Titel II („Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften“) ist in
Artikel 13 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:
„(1) Vorbehaltlich des Artikels 14c unterliegen Personen, für die diese
Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche
Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt folgendes:
a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist,
unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn
sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder
das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im
Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;
...
f) eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin
unterliegt, ohne daß die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats
gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer
der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie
anwendbar würden, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in
dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften.“
- 6.
- Artikel 16 der Verordnung Nr. 1408/71 („Sonderregelung für das Geschäftspersonal
der diplomatischen Vertretungen und der konsularischen Dienststellen sowie für
die Hilfskräfte der Europäischen Gemeinschaften“) bestimmt:
„(1) Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a) gilt auch für Mitglieder des
Geschäftspersonals der diplomatischen Vertretungen oder konsularischen
Dienststellen und für private Hausangestellte im Dienst von Angehörigen dieser
Vertretungen oder Dienststellen.
(2) Die in Absatz 1 bezeichneten Arbeitnehmer, die Staatsangehörige des
entsendenden Mitgliedstaats sind, können sich jedoch für die Anwendung der
Rechtsvorschriften dieses Staates entscheiden. Dieses Wahlrecht kann am Ende
jedes Kalenderjahres neu ausgeübt werden und hat keine rückwirkende Kraft.
...“
- 7.
- Artikel 13 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.
März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die
Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung (im folgenden:
Verordnung Nr. 574/72) sieht vor:
„(2) Der Arbeitnehmer, der von seinem Wahlrecht Gebrauch macht, zeigt dies dem
Träger an, den die zuständige Behörde des Mitgliedstaats bezeichnet, für dessen
Rechtsvorschriften der Arbeitnehmer sich entschieden hat; gleichzeitig unterrichtet
dieser seinen Arbeitgeber. Der Träger unterrichtet erforderlichenfalls alle anderen
Träger desselben Mitgliedstaats gemäß den Weisungen, die die zuständige Behörde
dieses Mitgliedstaats erteilt.
(3) Der Träger, den die zuständige Behörde des Mitgliedstaats bezeichnet, für
dessen Rechtsvorschriften der Arbeitnehmer sich entschieden hat, stellt diesem eine
Bescheinigung darüber aus, daß für ihn für die Dauer seiner Beschäftigung in der
betreffenden diplomatischen Vertretung oder konsularischen Dienststelle oder bei
einem Angehörigen dieser Vertretung oder Dienststelle die Rechtsvorschriften
dieses Mitgliedstaats gelten.“
Das deutsche Recht
- 8.
- Bis zum 31. Dezember 1995 richtete sich der Anspruch auf Zahlung von Kindergeld
in Deutschland nach dem Bundeskindergeldgesetz vom 31. Januar 1994 (BGBl.
1994 I S. 169; im folgenden: BKGG). § 1 BKGG lautete wie folgt:
„(1) Nach den Vorschriften des Gesetzes hat Anspruch auf Kindergeld für seine
Kinder ...
1. wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes einen Wohnsitz oder seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hat ...
...
(3) Ein Ausländer hat einen Anspruch nach diesem Gesetz nur, wenn er im
Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist ...“
- 9.
- Seit dem 1. Januar 1996 wird das Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz
vom 11. Oktober 1995 (BGBl. 1995 I S. 1250) gewährt. In § 62 dieses Gesetzes ist
bestimmt:
„(1) Für Kinder im Sinne des § 63 hat Anspruch auf Kindergeld nach diesem
Gesetz, wer
1. im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat ...
...
(2) Ein Ausländer hat nur Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer
Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist ...“
Das Ausgangsverfahren
- 10.
- Die Klägerin und ihr Ehemann sind spanische Staatsangehörige, die in Deutschland
wohnen. Der Ehemann der Klägerin ist beim spanischen Generalkonsulat in
Hannover beschäftigt, während die Klägerin abgesehen von einer nicht
sozialversicherungspflichtigen geringfügigen Beschäftigung als Haushaltshilfe nicht
berufstätig ist.
- 11.
- Nachdem sich der Ehemann der Klägerin gemäß Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 der
Verordnung Nr. 1408/71 für die Anwendung der spanischen Rechtsvorschriften der
sozialen Sicherheit entschieden hatte (im folgenden: Ausübung des Wahlrechts),
hob die Bundesanstalt mit Wirkung vom 1. Februar 1995 die Bewilligung des
Kindergelds für die beiden Kinder der Klägerin auf.
- 12.
- Die Bundesanstalt ist der Ansicht, daß die Ausübung des Wahlrechts durch Herrn
Gómez Rivero auch für seine Ehefrau Wirkung entfalte, auf die daher die
deutschen Rechtsvorschriften von der Ausübung dieses Rechts an nicht mehr
anwendbar seien. Deswegen habe die Klägerin keinen Anspruch auf Kindergeld
mehr, obwohl sie alle übrigen Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld in
Deutschland erfülle.
- 13.
- Nach dem spanischen System der sozialen Sicherheit erhalten weder die Klägerin
noch ihr Ehemann Familienleistungen für unterhaltsberechtigte Kinder, denn die
Einkünfte der Familie übersteigen die Höchstgrenze, bis zu der diese gewährt
werden.
- 14.
- Das Landessozialgericht Niedersachsen, bei dem der Rechtsstreit über den
Bescheid der Bundesanstalt in der Berufungsinstanz anhängig ist, ist der Ansicht,
daß das Kindergeld, das die Klägerin für ihre unterhaltsberechtigten Kinder bezog,
in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 falle, da es als
„Familienleistung“ im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h dieser Verordnung
anzusehen sei. Die Entscheidung des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens hänge
davon ab, ob die deutsche Kindergeldregelung auf die Klägerin anwendbar sei, was
wiederum davon abhänge, ob die Ausübung des Wahlrechts durch den Ehemann
der Klägerin Rechtswirkungen für diese entfalte, auch wenn sie ihr nicht
zugestimmt habe.
Die Vorlagefragen
- 15.
- Das Landessozialgericht Niedersachsen hat Zweifel, wie Artikel 16 Absatz 2 Satz
1 der Verordnung Nr. 1408/71 auszulegen ist. Es hat daher das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Hat die Entscheidung eines Mitglieds des Geschäftspersonals einer
konsularischen Dienststelle nach Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 der Verordnung
(EWG) Nr. 1408/71 für die Anwendung der Rechtsvorschriften des
entsendenden Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger es ist, zugleich
Wirkung für seinen nicht im konsularischen Dienst stehenden Ehegatten,
der ebenfalls Angehöriger des entsendenden Mitgliedstaats ist,
oder
sind auf den Ehegatten die Rechtsvorschriften des entsendenden
Mitgliedstaats nur dann anzuwenden, sofern sich dieser selbst ebenfalls für
ihre Anwendung entscheidet?
2. Sofern die Entscheidung des im konsularischen Dienst stehenden
Staatsangehörigen zugleich Wirkung für seinen Ehegatten entfaltet: Setzt die
Wirksamkeit der Entscheidung für die Anwendung der Rechtsvorschriften
des entsendenden Mitgliedstaats die Zustimmung oder sonst eine
Mitwirkung des mitbetroffenen Ehegatten voraus?
Zur ersten Frage
- 16.
- Anspruch auf eine Familienleistung kann haben, wer Arbeitnehmer oder
Selbständiger ist, wer Familienangehöriger eines solchen Erwerbstätigen ist oder
wer in dem betreffenden Mitgliedstaat wohnt, ohne daß es auf seine Zugehörigkeit
oder die seines Ehegatten oder seiner Eltern zu einem System der sozialen
Sicherheit ankommt.
- 17.
- Im Ausgangsverfahren geht es um Kindergeld, das jeder Person gewährt wird, die
ein unterhaltsberechtigtes Kind hat und im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung
oder Aufenthaltserlaubnis in Deutschland ist, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit
oder der Zugehörigkeit ihres Ehegatten oder ihrer Eltern zu einem System der
sozialen Sicherheit.
- 18.
- Daher ist die erste Frage so zu verstehen, daß das vorlegende Gericht wissen
möchte, ob die Entscheidung eines Mitglieds des Geschäftspersonals einer
konsularischen Dienststelle nach Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 der Verordnung Nr.
1408/71 für die Anwendung der sozialrechtlichen Vorschriften des entsendenden
Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger es ist, bewirkt, daß sein Ehegatte keinen
Anspruch mehr auf eine Vergünstigung der sozialen Sicherheit hat, die ihm dieRechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er wohnt, unabhängig von der
sozialen Absicherung seines Ehegatten sichern.
- 19.
- Die Klägerin macht geltend, die Ausübung des Wahlrechts durch ihren Ehemann
könne nicht zum Verlust der Ansprüche auf das Kindergeld führen, das sie bis zum
1. Februar 1995 erhalten habe, da die Verordnung Nr. 1408/71 den Kreis der
kindergeldberechtigten Personen gegebenenfalls ausdehne, ihn jedoch nicht
einschränke.
- 20.
- Die finnische Regierung vertritt die Ansicht, daß die auf Familienangehörige eines
Arbeitnehmers anwendbaren Rechtsvorschriften im allgemeinen durch die für den
Arbeitnehmer selbst geltenden Rechtsvorschriften festgelegt würden. Dies sei auch
dann der Fall, wenn dieser sein Wahlrecht ausgeübt habe, da die
Familienangehörigen kein eigenständiges Recht hätten, zu wählen, welchen
Rechtsvorschriften sie unterlägen. Daher sei die Klägerin durch die Entscheidung
ihres Ehemanns für die Anwendung der spanischen Rechtsvorschriften gebunden.
- 21.
- Die Kommission macht geltend, Artikel 16 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71
sei eine der Bestimmungen, die ausschließlich für Arbeitnehmer und nicht für deren
Familienangehörige gälten. Daher entfalte die Ausübung des Wahlrechts durch den
Ehemann der Klägerin dieser gegenüber keine Rechtswirkungen, und diese habe
kein eigenes Wahlrecht im Sinne dieser Bestimmung.
- 22.
- Artikel 16 der Verordnung Nr. 1408/71 ist eine Sonderregelung, die von der
allgemeinen Regelung in Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung
abweicht. Nach dieser allgemeinen Regelung unterliegt eine Person, die im Gebiet
eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates,
und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt.
Hingegen kann Artikel 16 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 dazu führen, daß
das Sozialrecht eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, in dem die
Berufstätigkeit ausgeübt wird, anwendbar ist.
- 23.
- Nach dem Wortlaut von Artikel 16 der Verordnung Nr. 1408/71 steht das in dieser
Bestimmung vorgesehene Wahlrecht dem Geschäftspersonal der diplomatischen
Vertretungen oder konsularischen Dienststellen und privaten Hausangestellten im
Dienst von Angehörigen dieser Vertretungen oder Dienststellen zu. Die
Familienangehörigen dieses Personenkreises sind weder in diesem Artikel noch in
Artikel 13 der Verordnung Nr. 574/72 erwähnt.
- 24.
- Gleichwohl hat die Ausübung oder Nichtausübung des Wahlrechts durch ein
Mitglied des Geschäftspersonals der diplomatischen Vertretungen oder
konsularischen Dienststellen zugunsten der Rechtsvorschriften des entsendenden
Staates unmittelbare Folgen für den Umfang der Rechte, die dessen
Familienangehörige aufgrund dieser Eigenschaft aus der sozialen Absicherung des
Arbeitnehmers ableiten können, je nachdem, ob für diesen die Rechtsvorschriften
des entsendenden Staates oder des Staates gelten, in den er entsandt ist.
- 25.
- Die Ausübung des Wahlrechts darf jedoch den Familienangehörigen des
Arbeitnehmers nicht die Vergünstigungen der sozialen Sicherheit entziehen, die
ihnen unabhängig von der sozialen Absicherung des Arbeitnehmers selbst die
Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats sichern, in dem sie wohnen.
- 26.
- Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 17. Juni 1975 in der Rechtssache 7/75
(Eheleute F., Slg. 1975, 679, Randnr. 16) entschieden hat, folgt aus Artikel 2
Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, der den persönlichen Geltungsbereich der
Verordnung festlegt, in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung, der
den Grundsatz der Gleichbehandlung aufstellt, daß den Familienangehörigen eines
Arbeitnehmers, die niemals im Sinne von Titel II der Verordnung abhängig
beschäftigt waren oder sind bzw. einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen sind
oder nachgehen, die gleichen Rechte aufgrund der sozialrechtlichen Vorschriften
ihres Wohnsitzlandes zustehen müssen wie den Staatsangehörigen dieses Landes.
- 27.
- Außerdem unterliegt ein selbst im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig
beschäftigter Familienangehöriger eines Arbeitnehmers gemäß Artikel 13 Absatz
2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften dieses Staates.
- 28.
- Sollte sich erweisen, daß sowohl der Arbeitnehmer, der sein Wahlrecht gemäß
Artikel 16 der Verordnung Nr. 1408/71 ausgeübt hat, als auch sein Ehegatte
Anspruch auf die gleichen Familienleistungen für ein und denselben Zeitraum und
für denselben Familienangehörigen haben der eine in dem Mitgliedstaat, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt, wegen der Ausübung dieses Wahlrechts und unter
den Voraussetzungen des Artikels 73 der Verordnung, der andere nach den
Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er wohnt , so müßten die
Antikumulierungsvorschriften, die für solche Situationen gelten, angewandt werden.
- 29.
- Insoweit bestimmt Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 574/72
insbesondere, daß der Anspruch auf Familienleistungen oder -beihilfen, die nach
den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet werden, nach denen der
Erwerb des Anspruchs auf diese Leistungen oder Beihilfen nicht von einer
Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängig ist, wenn
während desselben Zeitraums für dasselbe Familienmitglied Leistungen nach
Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 geschuldet werden, bis zur Höhe dieser
geschuldeten Leistungen ruht.
- 30.
- Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Entscheidung eines Mitglieds
des Geschäftspersonals einer konsularischen Dienststelle gemäß Artikel 16 Absatz
2 Satz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 für die Anwendung der sozialrechtlichen
Vorschriften des entsendenden Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger es ist, nicht
bewirkt, daß sein Ehegatte keinen Anspruch mehr auf eine Vergünstigung der
sozialen Sicherheit hat, die ihm die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem
er wohnt, unabhängig von der sozialen Absicherung seines Ehegatten sichern.
Zur zweiten Frage
- 31.
- Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht
beantwortet zu werden.
Kosten
- 32.
- Die Auslagen der finnischen Regierung und der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Landessozialgericht Niedersachsen mit Beschluß vom 22. Mai 1997
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die Entscheidung eines Mitglieds des Geschäftspersonals einer konsularischen
Dienststelle gemäß Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit
auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb
der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr.
118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung für
die Anwendung der sozialrechtlichen Vorschriften des entsendenden Mitgliedstaats,
dessen Staatsangehöriger es ist, bewirkt nicht, daß sein Ehegatte keinen Anspruch
mehr auf eine Vergünstigung der sozialen Sicherheit hat, die ihm die
Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem er wohnt, unabhängig von der
sozialen Absicherung seines Ehegatten sichern.
JannGulmann
Edward
Sevón Wathelet
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Juni 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
J.-P. Puissochet